Landtagsabgeordnete Steinhülb-Joos: “Nur Fan zu sein wie Ministerin Schopper, nutzt der Gemeinschaftsschule nicht.”

Stuttgarter SPD-Abgeordnete kritisiert das Desinteresse von Grün-Schwarz an der Überbelastung von Lehrer*innen an Gemeinschaftsschulen

Eine aktuelle Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) hat ergeben, dass rund 60 Prozent der Lehrkräfte an Gemeinschaftsschulen ihren Arbeitsplatz am liebsten zugunsten einer anderen Schulart wechseln würden. Die Arbeitsbelastung sei zu hoch. Für die Stuttgarter SPD Landtagsabgeordnete Katrin Steinhülb-Joos ist das ein Alarmsignal: „Das ist eine erneute Folge der verfehlten Schulpolitik von Grün-Schwarz.“

Die Schulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion war vor ihrer Zeit als Abgeordnete Rektorin einer Gemeinschaftsschule. „Bis vor zwei Jahren war die Situation an den Gemeinschaftsschulen schon schwierig. Leider hat sich mit dem Amtsantritt der grünen Kultusministerin Theresa Schopper daran nichts geändert“, kritisiert Steinhülb-Joos und macht dies an drei Punkten deutlich:

1. Inklusion

Die jetzt veröffentliche VBE-Umfrage zeige worunter Lehrerinnen und Lehrer in der Gemeinschaftsschule leiden. Der inklusive Ansatz, der eigentlich in allen Schulen selbstverständlich sein sollte, fordert besonderes Lehrpersonal, insbesondere Sonderpädagog*innen, die einen gemeinsamen Schulalltag von jungen Menschen mit und ohne Behinderung erst ermöglichen. An den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) und in der Inklusion ist der Lehrerbedarf enorm, dort fehlen rund 15 Prozent der Lehrkräfte. Die Folge: Es gibt immer weniger Sonderpädagog*innen in den Gemeinschaftsschulen. Der Unterricht an den SBBZ ist durch Sonderpädagog*innen gesichert, dort fallen zwar Doppelbesetzungen weg, doch an den allgemeinbildenden Schulen kommen dagegen fast keine Sonderpädagog*innen mehr an. Zusätzlich werden sogar aus den allgemeinbildenden Schulen Sonderpädagog*innen abgezogen, so wie derzeit in Stuttgart und den SBBZ zugeteilt. „Das ist den Kindern, den Klassen und den Lehrkräften gegenüber eine nicht zu verantwortende Zumutung, sie ohne entsprechend Unterstützung alleine zu lassen“, stellt Steinhülb-Joos empört fest, „mehr kann man die Behindertenrechtskonvention nicht mit Füßen treten“. Mit aller Kraft wäre es vor diesem Schritt nötig gewesen, Stellen für zusätzliche pädagogische Assistent*innen, Inklusionshelfer*innen, Multiprofessionelle Teams auszuschreiben und fortzubilden.

An den Schulen ohne Sonderpädagog*innen müssen Kolleginnen und Kollegen einspringen, die für die Bedürfnisse behinderter Kinder und Jugendlicher gar nicht ausgebildet sind. Diese Aufgaben müssen die Lehrkräfte noch zusätzlich zu den schulischen Aufgaben stemmen. Hier rächen sich die unzureichenden Qualifizierungsangebote der Landesregierung, die aus ihrer Sicht praxisbegleitend erfolgen müssen. „Wenn Ministerin Schopper jetzt die 175 zusätzlichen Sonderpädagog*innen lobt, die sie in Freiburg ausbilden lassen will, dann nutzt das in der jetzigen Situation gar nichts,“ sagt Steinhülb-Joos: „Wir stellen einen Lehrermangel für die Gegenwart fest, die Zukunft angesichts dieser Bildungspolitik möchte man sich gar nicht ausmalen.“

2. Deputate

Ein krasses Fehlverständnis im Kultusministerium offenbart sich laut der Abgeordneten auch im Umgang mit den Coaching-Zeiten, die im Stundenkontingent gar nicht vorgesehen sind. „Lerncoaching gehört zum Kern des Angebots der Gemeinschaftsschulen. Die Zeiten dafür sind so wertvoll wie jede Stunde in Mathe oder Deutsch. Deshalb müssen sie sich im Stundenkontingent für Lehrkräfte widerspiegeln“, sagt die Bildungsexpertin: „Es ist doch klar, dass das nicht als Dreingabe von den Lehrkräften verlangt werden kann. Die vom VBE geforderten beiden zusätzlichen Deputatsstunden unterstütze ich.“

Das Konzept der Gemeinschaftsschule sieht längeres gemeinsames Lernen vor sowie Bildungsformate, die auf die individuellen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern abgestimmt sind. „Natürlich braucht es da mehr Unterrichtsszeit, wenn Lehrerinnen und Lehrer auf individuelle Förderbedarfe der Schüler*innen eingehen sollen“, sagt Steinhülb-Joos.

Mehr davon, das fordert sie auch bei den Poolstunden, also die Zeit, in denen Lehrkräfte inhaltliche Schwerpunkte setzen können. Diese Stunden dienen der Binnendifferenzierung. Kleinere Lerngruppen können gezielt gefördert werden, Stärken gestärkt und Lerndefizite ausgeglichen werden.

Konventionelle Schulen haben diesen Ansatz nicht, sie bekommen aber ebenso wie die Gemeinschaftsschule 20 Stunden zur Differenzierung. „Sinnvoll wären dagegen zusätzliche Poolstunden, die dem Differenzierungskonzept und den unterschiedlichen Niveaustufen entsprechen, in denen unterrichtet wird“, so die Forderung Steinhülb-Joos’.

Auch die sozialdatenatlasbezogene Ressourcenzuweisung, welche die Landesregierung derzeit nur in ausgewählten Modellregionen erprobt, gehört laut Steinhülb-Joos flächendeckend ausgeweitet. Dass Grün-Schwarz die Inklusionsrate an einer Schule im Sozialindex nicht berücksichtigt, zeige nur, wie weit das Kultusministerium von der Praxis entfernt ist! „Eine Klasse mit inklusiven Schüler*innen kann sich glücklich schätzen, sie lebt Teilhabe“, erklärt Steinhülb-Joos: „Doch dazu braucht die gesamte Klasse mehr Zeit und Ressourcen.“

3. Lehrer*innenmangel

Unterm Strich ist die Arbeitsbelastung für die Lehrkräfte deshalb so hoch, weil es zu wenig Personal an den Gemeinschaftsschulen gibt. Deshalb begrüßt Steinhülb-Joos den VBE-Vorschlag, Lehrkräfte von bestimmten Aufgaben zu entlasten: „Der Lernentwicklungsbericht zu den Halbjahresterminen könnten durch Gespräche ersetzt werden und schriftlich zum Schuljahresende erfolgen. Dies war schon zu meiner Zeit als Schulleiterin immer mit einem hohen Zeitaufwand verbunden. Tatsächlich könnte man im Halbjahr darauf verzichten.“

Angesichts der hohen Belastung der Lehrkräfte ziehen Kritiker*innen in Politik und Bildungsszene die Gemeinschaftsschule als Ganzes infrage. Wichtig wäre, das sehr gute Konzept mit Unterstützungsmaßnahmen zu flankieren.

Stattdessen greifen die Kritiker*innen bewusst die Folgen für ihre Fundamentalkritik auf, die mit einer unzureichenden Ausstattung und halbherzigen Bereitstellung von Personal und Ressourcen einhergehen. Das ist für Steinhülb-Joos nicht nachvollziehbar. „Würden mehr als das Dutzend Gemeinschaftsschulen im Lande Oberstufenzüge anbieten, hätte diese Schulart entscheidend an Attraktivität gewonnen und müsste sich nicht dauernd rechtfertigen“ sagt Steinhülb-Joos: „Allerdings haben Gemeinschaftsschulen, die Oberstufen anbieten wollen, mit vielen bürokratischen Hindernissen zu kämpfen.“

Das sei umso weniger verständlich, als die Gemeinschaftsschule beste Startchancen für junge Menschen bietet. Die Gemeinschaftsschule schafft mit ihrem Ansatz des längeren gemeinsamen Lernens die Chance, auf die persönliche Entwicklung der einzelnen Schülerinnen und Schüler einzugehen. Sie mindert den Noten- und Leistungsdruck und schafft so ein Klima, das zur Entfaltung der Persönlichkeit von jungen Menschen beiträgt. Außerdem schafft sie durch ihre Ganztagesausrichtung mehr Bildungsgerechtigkeit. Die vielen Angebote helfen gerade Kindern und Jugendlichen, deren Eltern nicht so begütert sind.

Diese Vorteile erfahren aber nur wenig echte Wertschätzung in der Landesregierung: „Was nutzt es dem Personal, den Schülerinnen und Schülern und letztlich der ganzen Schulart, wenn sich Kultusministerin Schopper als Fan der Gemeinschaftsschule ausgibt, ohne offenbar die Konsequenzen bei der Unterstützung dieser besonderen und erfolgreichen Schule zu ziehen?“, fragt Steinhülb-Joos: „Fans wie die Ministerin Schopper nutzen der Gemeinschaftsschule ohne Unterstützung nicht, sie schaden eher.“

Katrin Steinhülb-Joos, SPD-Landtagsabgeordnete für Stuttgart

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Die Stuttgarter SPD-Abgeordnete Steinhülb-Joos kritisiert den sich immer weiter zuspitzenden Mangel an Kinderärztinnen und Kinderärzten in Stuttgart

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Gemeinschaftsschulen leisten einen wichtigen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit